Dein Differenzial, das unbekannte Getriebe im Allrader und im herkömmlichen Auto

Praktisch kein Auto kommt ohne aus: Das Differenzialgetriebe ist unerlässlich, wenn man mit einem Auto schneller als im Schritttempo Kurven fahren will. In Kurven müssen sich nämlich die zwei Räder, die auf einer Achse sitzen unterschiedlich schnell drehen. Das ist kein Problem bei Rädern, die nicht angetrieben werden. Bei angetriebenen Achsen aber muss ein Mechanismus her, der es ermöglicht, beide Räder mit unterschiedlichen Drehzahlen anzutreiben. Und das leistet das Differenzialgetriebe, das von den meisten Leuten nur kurz als Differenzial bezeichnet wird und bei mir kurz „Diffi“ heißt.

Die meiste Zeit merken wir gar nichts von dem einen oder den mehreren Differenzialgetrieben, die in unserem Auto Dienst tun. Meist nur bei zwei Gelegenheiten: Wenn – was hoffentlich selten oder gar nicht vorkommt – es kaputt ist und – das passiert häufiger – das eine Rad auf rutschigen Untergrund durchdreht und das andere stillsteht, obwohl es Grip hätte und Vortriebskraft auf den Boden bringen könnte.

Das Differenzialgetriebe, ein Ausgleichsgetriebe

Eher selten nennt man das Differenzialgetriebe auch Ausgleichsgetriebe. Differenzial deshalb, weil es eine Differenz zwischen den Drehzahlen der beiden Achswellen ermöglicht. Ausgleich, weil es diese Differenz ausgleicht.

Differenzialgetriebe - Hinterachse vom Auto
Wie eine Auto-Hinterachse aussieht, weiß jeder von diesem Verkehrsschild her. Und in dem Gnubbel in der Mitte versteckt sich das Diffi, wie das Differenzialgetriebe bei mir heißt (Bild: StVO/Lizenz: PD)

Die Hinterachse eines Autos mit Hinterradantrieb hat eine charakteristische Form, die man sieht, wenn man von hinten unter das Auto schaut: In der Mitte sitzt ein Gnubbel, von dem zwei meist schlank kegelige Gehäuseteile oder Rohre zu den Rädern führen. Jeder weiß wie das aussieht, denn dieses Bild findet sich ja auch auf dem Verkehrszeichen für die zulässige Achslast.

In dem Gnubbel in der Mitte sitzt das Differenzialgetriebe. Da hinein führt von vorne die Kardanwelle, von der wird es angetrieben. In den beiden kegeligen Teilen verstecken sich die beiden Achswellen, mit denen das Differenzial die beiden Räder antreibt. Das Geheimnis, warum sich die beiden Achswellen unterschiedlich schnell drehen können, steckt im Gnubbel.

Der Aufbau

In der Abbildung ist zu sehen, wie ein Differenzialgetriebe aufgebaut ist. Angetrieben wird das Ganze von der Kardanwelle (7) und zwar mit dem Antriebsritzel (6). Dieses kämmt mit dem Tellerrad (2) und dreht dieses. Mit dem Tellerrad ist der Korb (5) fest verbunden und dreht sich daher mit.

Hinterachse mit Differnzialgehäuse
… und so sieht es im richtigen Leben aus. Aber auch hier versteckt sich das Differenzial in seinem Gehäuse (Bild: Keimzelle/Lizenz: PD)

Links und rechts im Korb sind die beiden Achswellen-Kegelräder (3) drehbar gelagert und mit ihrer jeweiligen Achswelle (1) fest verbunden. Die Achswellen-Kegelräder kämmen mit den beiden Ausgleichsrädern (4) die im Korb frei drehbar gelagert sind.

Der ganze Klapparatismus sitzt in seinem Gehäuse, das hier nicht gezeichnet ist. Dieses Gehäuse ist der nämliche Gnubbel, der in der Mitte der Hinterachse sitzt.

Das Gleichgewicht im Differenzialgetriebe bei gleichen Drehzahlen

Wie funktioniert das Ganze nun aber? Der Knackpunkt sind die beiden Ausgleichsräder im Korb. Rein mechanisch würde sogar ein Ausgleichsrad reichen. Man verbaut deren zwei, damit sich die Last verteilt und vor allem auch damit der komplette Korb symmetrisch ist und keine Unwucht hat. Für das Verständnis der Funktion reicht es aber, wenn man eines der beiden Ausgleichsräder betrachtet.

Differenzialgetriebe ohne Gehäuse
Und so sieht das Innenleben des Gnubbels auf der Hinterache aus: Das Differenzialgetriebe, das sich in seinem Gehäuse versteckt – Die Zahlen im Text beziehen sich auf dieses Bild. (Bild: Historisch)

Stellen wir uns zunächst vor, dass Ausgleichsrad wäre nicht drehbar. Wenn man einen Gang einlegt und einkuppelt, dreht die Kardanwelle mit ihrem Kegelrad das Tellerrad und damit den Korb. Würde das Ausgleichsrad also nicht drehbar sein, würde es ganz einfach die beiden Kegelräder auf den Achswellen mitnehmen und beide Räder gleichmäßig drehen.

Nun kann sich das Ausgleichsrad in Wirklichkeit aber drehen. Nehmen wir an, wir fahren beim Anfahren geradeaus, so das beide Räder sich gleich schnell drehen. Das Ausgleichsrad kann man sich nun vorstellen wie eine Langhantel, die auf beiden Seiten mit den gleichen Hantelscheiben bestückt, also symmetrisch ist: Wenn wir diese Hantel mit einer Hand genau in der Mitte anfassen, können wir sie problemlos hochheben, weil sie im Gleichgewicht ist.

Genauso „balanciert“ das Ausgleichsrad auf den äußeren Zähnen die zugehörigen Zähne der Kegelräder auf den Achswellen. Auf beiden Seiten wirkt nämlich die gleiche Kraft zwischen den Zähnen, das Ausgleichsrad ist im Gleichgewicht und dreht sich nicht, treibt aber die beiden Kegelräder an den Achswellen und dreht so die Räder.

Das Ungleichgewicht im Differenzialgetriebe bei ungleichen Drehzahlen

Stellen wir uns nun vor, wir fahren eine Rechtskurve. Jetzt muss sich das rechte Rad langsamer drehen, weil es den kleineren Kurvenradius hat. Dadurch geht es auf einmal schwerer und das ist ungefähr so, wie wenn uns ein gemeiner Mensch auf der einen Seite unserer Langhantel eine zusätzliche Hantelscheibe aufstecken würde: Die Geschichte gerät ins Ungleichgewicht.

Differenzialgetriebe
Hier noch eine andere Darstellung. Tellerrad und Antriebsritzel weisen hier die modernerer Hypoidverzahnung auf, im vorigen Bild sind sie einfache Kegelräder. Anstatt in einem Korb sind die Ausgleichsräder hier in zwei Lagerböckchen gelagert, die mit dem Tellerrad fest verbunden sind. 1 – Tellerrad, 2 – Ausgleichsräder, 3 – Wellenstumpf der Kardanwelle her, 4 – Antriebsritzel, 5 – rechte Achswelle, 6 – Kegelräder der Achswellen, 7 – linke Achswelle (Bild:
Pearson Scott Foresman/Lizenz: PD)

Die Langhantel würde es uns jetzt aus der Hand drehen und sie würde mit der einen Seite zuerst auf den Boden fallen. Nun ist das Ausgleichsrad aber keine Hantelstange, sondern ein Rad, das rundherum Zahnradzähne hat. Daher dreht es sich zwar auch, aber, wenn das Zahnpaar, das bei der Geradeausfahrt die Kraft übertragen hat, auseinandergeht, greift einfach das nächste Zahnpaar. Und dreht weiterhin die Achswelle: Der Kraftfluss – eigentlich heißt es Drehmomentfluss – von der Kardanwelle über das Tellerrad mit dem Korb und den Ausgleichsrädern zu den Kegelrädern auf den Antriebswellen bleibt auf beiden Seiten erhalten.

Nur dreht sich jetzt das Ausgleichsrad und erlaubt der einen Achswelle, sich etwas langsamer zu drehen. Es gleicht damit also den Drehzahlunterschied zwischen den beiden Achswellen aus und kann mit seinen Zähnen trotzdem noch Kraft zu den beiden Achswellen übertragen. Beide Räder werden weiterhin angetrieben, die unterschiedlichen Drehzahlen gleicht das Ausgleichsrad – wie sein Name schon sagt – aus. Und das zweite Ausgleichsrad auf der anderen Seite macht genau das gleiche.

Das Differenzial macht Ärger

Der Extremfall unterschiedlicher Drehzahlen der beiden Hinterräder ist der, dass das eine Rad steht und das andere sich lustig dreht. Auch das funktioniert mit einem solchen Differenzialgetriebe. Und es passiert immer dann, wenn eines der beiden Räder auf rutschigen Untergrund steht und durchdreht. Man kann dann auf der anderen Seite so viel Grip haben wie man will, das Auto fährt nicht los.

Das ist nun ärgerlich, aber es lässt sich nicht vermeiden. Schließlich ist das Differenzialgetriebe lediglich ein Stück Maschinenbau ohne Intelligenz. Deswegen weiß es nicht, dass sich das eine Rad gar nicht so schnell drehen dürfte. Es tut das, was es immer macht: Es gleicht den Drehzahlunterschied zwischen den beiden Rädern aus. Dass die beiden Drehzahlen jetzt nicht X und Y (mit X>0 und Y>0) sondern X und Null sind, spielt keine Rolle. Wer will das dem Differenzialgetriebe vorwerfen?

Das Differenzialgetriebe außer Funktion setzen

Die blöde Situation, dass eines der beiden Räder durchdreht und das andere dann nicht mehr angetrieben wird, passiert halt hin und wieder und dann sitzt man im Schnee, auf Glatteis oder auf einer matschigen Wiese fest. Und dann muss eben jemand schieben oder einen mit dem Abschleppseil auf den Haken nehmen.

Bei einem PKW kann man damit leben. Bei einem Geländewagen kann so eine Situation viel öfter auftreten und deswegen haben diese manchmal eine Möglichkeit, die Differenzialgetriebe – ein Allrader hat mindestens zwei davon – außer Funktion zu setzen. Manche Allradautos haben so etwas in einer oder beiden Achsen serienmäßig, bei anderen kann man es nachrüsten: Das nennt man Differenzialsperre.

Eine Differenzialsperre braucht ja nichts weiter zu tun, als das Differenzialgetriebe zu blockieren und eine starre Verbindung zwischen dem Tellerrad mit dem Korb und den Achswellen herzustellen. Eine gangbare Möglichkeit ist, dass man jeweils die Achswelle über eine Kupplung mit dem Differenzialkorb verbindet.

Lada Niva
Ein in einem seinem natürlichen Biotop ähnlichen Lebensraum artgerecht gehaltener Lada Niva: Leider kann man nur das Mitteldifferential sperren. trotzdem meistert er Passagen, bei denen andere Geländewagen schon stecken bleiben, wenn man ihnen nur davon erzählt (Foto: Autor)

Wenn das eine Reibkupplung – ähnlich wie zwischen Motor und Getriebe – ist, kann man das Differenzialgetriebe nicht nur komplett, sondern auch partiell sperren: Sind die beiden Kupplungen ganz ausgerückt, arbeitet das Differenzial ganz normal. Sind sie eingerückt, ist es komplett gesperrt. Lässt man die Kupplungen schleifen, wird die Wirkung des Differenzials mehr oder weniger gemindert, es mehr oder weniger gesperrt. Eigentlich reicht es sogar, eine Achswelle starr mit dem Korb zu verbinden. Dann werden aber die Zähne der Ausgleichsräder und der Kegelräder auf den Achswellen malträtiert, wenn man das Fahrzeug mit gesperrtem Differenzial durch eine Kurve knüppelt.

Stellt man die Verbindung mit einer Klauenkupplung her, gibt es nur die beiden Möglichkeiten „Differenzial komplett offen“ und „Differenzial komplett gesperrt“. Das ist technisch weniger aufwendig, aber auch weniger flexibel im Einsatz.

Es gibt auch noch vornehmere Lösungen, bei denen sich das Differenzialgetriebe in Abhängigkeit von Drehzahl oder Drehmoments selbsttätig sperrt. Lamellen- und Torsensperren sperren das Differenzial lastabhängig mehr oder weniger. Solche Sperren werden gerne im Straßenmotorsport eingesetzt. Hier dienen sie dazu, gewissermaßen die Antriebsleistung der beiden Räder jeweils separat zu regeln.

Starre Sperren findet man bei Geländewagen. Der Einsatz ist im Prinzip einfach: Dreht ein Rad an einer Achse durch, sperrt man das Differenzialgetriebe dieser Achse. Das andere Rad, das noch Grip hat, kann diesen nun nutzen und es geht – hoffentlich – weiter.

Mitteldifferenzialgetriebe

Weiter oben habe ich erwähnt, dass Autos ein oder mehrere Differenzialgetriebe besitzen können. Natürlich braucht ein Allradauto mindestens zwei Differenziale. Mindestens nicht deswegen, weil Allrader auch mehr als zwei Achsen haben können. Das natürlich auch. Aber auch zweiachsige Allrader benötigen manchmal ein drittes Differenzial: Bei einem permanenten Allradantrieb ist dieses sogenannte Mitteldifferenzial dazu da, dass es Drehzahlunterschiede zwischen Vorder- und Hinterachse ausgleicht. Auch die treten nämlich beim Kurvenfahren auf.

Allradautos mit zuschaltbarem Allradantrieb brauchen dieses Mitteldifferenzial nicht unbedingt. Außer meinen drei Lada Nivas mit permanentem Allradantrieb, von denen der dritte mein aktueller Jagdwagen ist, besaß ich auch einmal einen Isuzu Trooper UBS 17 mit zuschaltbarem Allradantrieb.

Differenzialgetriebe Isuzu Trooper UBS 17
Das Differenzialgetriebe eines Isuzu Trooper UBS 17. Im Hintergrund sieht man das recht Blattfederpaket der klassischen Starrachse (Bild: Autor)

Der Lada Niva hat einen permanenten Allradantrieb und ein Mitteldifferenzial. Dieses kann man sperren, tut das aber nur, wenn es wirklich rutschig ist. Wenn zwar ein permanenter Allradantrieb den Verbrauch erhöht, hat er auch auf der normalen Straße Vorteile. Dann muss aber unbedingt ein Mitteldifferenzial vorhanden sein. Wenn man mit einem gesperrten Achsdifferenzial eine Kurve fährt, radiert eines der beiden Räder. Das ist ähnlich, wenn man das Mitteldifferenzial sperrt. Auf der Straße würde man in beiden Fällen spätestens aus der nächsten etwas flott gefahrenen Kurve fliegen.

Im Gelände ist die Sperre am Mitteldifferenzial aber oft hilfreich. Ein permanente Allradantrieb mit sperrbarem Mitteldifferenzial hat also sowohl auf der Straße als auch im Gelände Vorteile.

Allrad ohne Mitteldifferenzialgetriebe:

Mein Isuzu Trooper hatte einen zuschaltbarem Allradantrieb. Der Antrieb der Hinterachse war permanent, wenn man auf Allrad schaltete, wurde die Vorderachse zugeschaltet.Was es hier nicht gab, war ein Mitteldifferenzial. Vermutlich hatte man sich bei der Konstruktion gedacht, dass man den Allrad ‚eh nur im Gelände oder in Schnee und Eis einschaltet. Also bei langsamer Fahrt auf rutschigen Untergrund, wo die starre Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse von Vorteil ist und man deswegen ein vorhandenes Mitteldifferenzial wahrscheinlich sperren würde. Der Nachteil dieser Konstruktion ist, dass man den Allrad nicht bei normaler Fahrt auf der Straße verwenden konnte. Das wäre dann nämlich das gleiche gewesen, wie der Niva mit gesperrten Mitteldifferenzial.

Der permanente Allradantrieb ist technisch einfacher und das ist vermutlich der Grund, warum er beim Lada Niva verbaut wird. Der Nachteil: Das Auto ist durstiger, weil die Reibung im zweiten Antriebsstrang ja Leistung zehrt. Deswegen gibt es den zuschaltbaren Allradantrieb

Bei einem zuschaltbarem Allradantrieb reicht es aber nicht, wenn man die Verbindung zwischen Schaltgetriebe und zuschaltbarer Achse trennt. Weil dann der abgeschaltete Antriebsstrang immer noch mitläuft, da er jetzt von den Rädern mitgedreht wird. Ein Auto mit zuschaltbarem Allrad braucht daher Freiläufe in den Radnaben der zuschaltbarem Achse.

Die muss man aber auch wieder sperren können, denn im Gelände will man oft komplett starre Antriebsstränge. Bei dem offenen kleinen Suzuki aus den neunziger Jahren, den mein erster Jagdherr besaß, musste man das von Hand an den Radnaben tun. Bei meinem Isuzu Trooper war das etwas komfortabler: Wenn man den Allrad zugeschaltet hatte und wieder losfuhr, sperrten sich die Freiläufe automatisch. Wenn man den Allrad – im Stillstand – ausgeschaltet hatte, musste man zunächst ein kleines Stück in die entgegengesetzte Richtung fahren. Also rückwärts, wenn man zuletzt vorwärts gefahren war und umgekehrt. Damit entsperrte man die Freiläufe wieder.

Man kann sich vorstellen, wie kompliziert so ein Freilauf sein muss: Er muss nicht nur – anders als beim Fahrrad – in beide Richtungen funktionieren, sondern muss sich auch noch selbsttätig sperren, wenn die Achswelle das Rad antreibt und sich wieder entsperren, wenn man nach dem Abschalten des Allrads ein Stückchen in die andere Richtung fährt. Wehe, wenn hier der freundliche Herr von Dampfkesselüberwachungsverein einen kaputten Faltenbalg am Antriebsgelenk bemängelt. Bei dessen Wechsel darf man nämlich diesen ganzen Klapparatismus der Radnabe auseinanderbauen – und natürlich auch richtig wieder zusammenbringen.

Alles in allem gebe ich daher dem permanenten Allradantrieb mit sperrbarem Mitteldifferenzial in meinem Niva den Vorzug gegenüber dem zuschaltbaren Allrad. Auch wenn mein guter, alter UBS 17 – von dem man allerdings nicht die Leistung im Gelände verlangen durfte, wie sie ein Niva-Fahrer gewöhnt ist – ansonsten ein astreines Auto war. Vielleicht sogar das beste, das ich je besessen habe – obwohl unter meinen Autos mehrere BMW und Mercedes waren und auch zwei Opel, die ebenfalls gute und zuverlässige Autos waren.